Kapitel 21: Nu (Bis in die tiefsten Abgründe)
„Es macht keinen Unterschied, ob du die Töne hörst oder nicht. Es sind die Schwingungen, welche alles zerstören. Die verschwinden nicht, nur weil du Kopfhörer aufsetzt, du beschränkter Mensch“, erklärte Steven ihm. „Wenn ich dir in den Rücken schieße, dann bleibst du auch nicht am Leben, nur weil du den Schuss nicht gesehen hast. Soll ich es demonstrieren, um dir das zu beweisen? Oh, das wäre lustig, ja.“
Abyss funkelte ihn an, als würde er ihn gleich abstechen wollen. „Schon gut“, knurrte er. „Ich habs verstanden. Jetzt stopft mich schon in dieses komische Ding rein.“
Gibbli schraubte eine kleine Konsole an seinem Arm fest und verband ein heraushängendes Kabel mit ihrem EAG, um die Verbindungen zu prüfen. Sie gab es an Steven weiter, der die Berechnungen durchging.
„Ich finde das nicht gut“, murmelte Bo. Sie stand neben dem Kapitän, der mit verschränkten Armen verfolgte, wie Gibbli und Steven Abyss den Anzug anlegten.
„Wenn ihr ein Senderfeld konstruiert, das alle Schwingungen auffrisst, auf den gleichen Frequenzen der Geige, die beim Spielen um mich herum entstehen, dann würde mir doch nichts passieren.“ Abyss ließ nicht locker. „So eine Art begrenzte Superschutzkugel oder sowas.“
„Superschutzkugel? Schwingungen essen?“ Steven lachte. „Oh so wundervolle Worte. Ja, das gefällt mir. Aber so klappt es nicht, soll Steven dir etwas über Physik beibringen, Mensch?“
„Nein.“
Abyss Gedanken waren gar nicht so schlecht, dachte Gibbli. Doch so einfach, wie er sich das vorstellte, war es tatsächlich nicht. „Die Geige und Nu müssten sich außerhalb befinden. Deine Finger wären Matsch“, sagte sie und verband zwei Kabel miteinander. Gibbli drückte einen Schalter ein und die Vorrichtung des Anzugs fuhr langsam hoch.
„Die hat mir Sky sowieso schon zerschossen“, maulte Abyss. „Ist doch egal, wenn die restliche Hand weg ist. Dann baust du mir eben wieder eine. Ich will hören können, was ich spiele!“
„Genau darum geht es“, sagte der Kapitän mit prüfendem Blick. „Du sollst es nicht mitbekommen. Du darfst die Schwingungen weder hören noch in dieser Form spüren. Und um das noch einmal klarzustellen, du sollst überhaupt gar nicht spielen! Das ganze dient nur zur Abschreckung, um uns in eine verhandelbare Position zu bringen.“
„Das, was du wahrnimmst, wird dir mehr als genug vorkommen, Mensch“, sagte Steven, ohne auf Skys Mahnung einzugehen. „Du hältst doch eh nichts aus, oh nein, gar nichts!“
Der Tauchanzug, den Gibbli und der Oceaner auf Skys Befehl hin nach Stevens Konstruktion gebaut hatte, war mit einer speziellen Legierung beschichtet. Dabei handelte es sich um ein Material, das selbst Frequenzen erzeugte. Mit der eigenen Schwingung sollte es die Schwingungen der entstehenden Geigentöne umwandeln können. Diese würden zwar trotzdem eindringen und durch seinen Körper rasen, doch in einer abgewandelten Form. Sie komplett abzuschirmen war schlicht nicht möglich, da es sich nicht um reine Schallwellen handelte. Sonst hätte ein einfacher Vakuumschild genügt. Die geänderten Frequenzen lösten somit zwar noch immer Schmerzen aus und griffen seine Nervenbahnen an, doch sie wären abgeschwächt und nicht mehr tödlich.
„Was tust du da?“, fragte Gibbli eine halbe Stunde später und zog die Augenbrauen zusammen.
„Nach was sieht es denn aus, Mädchen? Ich entzerre die atomaren Verschlingungen der Schutzschilde.“
„Warte, das geht?“ Misstrauisch öffnete sie ein Fenster auf ihrer Konsole, um seine Eingaben nachzuverfolgen.
„Nur ein Genie, wie ich es bin, kann so etwas konstruieren, oh ja, mein Schatz.“ Gibbli schüttelte genervt den Kopf, während Steven unbeirrt weiter sprach. „Die Mara besitzt drei Schilde und natürlich die Hülle selbst. Diese ist unverrückbar materiell. Die anderen Felder sind beweglich und ineinander verschlungen. Ein Energiefeld, falls die Hülle bricht oder reißt. Es schirmt materielle Einwirkungen ab. Also das, was wir gegen die Flotte brauchen. Dann ein elektromagnetischer Schild, welcher die Frequenzen der Oca abschirmt. Das ließ auch die Felder aus Jacks Störsender nicht durch. Darum funktionierte die Technologie der Mara hier weiterhin. Die Stadt besitzt diesen Schild nicht, oh nein. Bis auf den Gedankenraum, du erinnerst dich, Mädchen?“
Natürlich tat sie das. Beunruhigt warf Gibbli einen Blick auf das Frontfenster. Ganz unten konnte man den Kopf eines Tauchers erkennen. Sie hatten ihn an der Außenhülle der Mara fest verankert.
„Und dann gibt es noch einen Schild, welcher die Mara vor Einbrüchen aus anderen Ebenen schützt. Das ist der, den du so töricht zerstörtest. Er beruht auf Strahlung organischer, lebender Energie, welche von den sich an Bord befindlichen Lebewesen in ihrer Ebene abgezogen wird. Du hast mit ihr bereits experimentiert, mit der Maschinenhand deines Menschen. Es müssen mindestens drei Personen anwesend sein, um diesen Schild vollkommen aufrecht zu erhalten. Nur dann schützt er uns vor den Auswirkungen der Zeitgravitationsfelder, den Einbrüchen der angrenzenden Ebenen. Sind keine Wesen gegenwärtig ... BÄM!“ Er fuchtelte mit den Händen durch die Luft und ballte sie dann zur Faust. „Psssss, die Verzerrung nimmt zu. Tod! Verderben! Platzende Gehirnmasse, die sich selbst aufsaugt! Darum füttern wir das Ding mit euch stinkenden Parasiten und verpassen ihm eine Blähung.“
Gibblis Augen weiteten sich. Sie verstand plötzlich, was er ihr damit sagen wollte.
„Bäm, so funktioniert das, Mädchen!“ Dann verfiel Stevens Stimme in ein Flüstern, Gibbli nahm an, dass er irgendetwas auf oceanisch hinzufügte.
Sky stöhnte auf und betätigte einen Schalter. „Abyss, hast du das gehört?“, fragte er.
Ein missmutiges Grummeln tönte durch die Lautsprecher in der Zentrale. „Meine Damen und Herren, schalten Sie das Gehirn nicht aus, das funktioniert jetzt ganz automatisch! Das ist die Macht des Oberparasitens!“ Abyss‘ Anzug war über einen dicken Sicherheitsschlauch mit der Mara verbunden. Durch ihn konnte die Kommunikation aufrecht erhalten bleiben.
„Gut. Du bist das Sprachgenie. Dann übersetze mir doch bitte das Chaos des Oceaners“, befahl Sky.
Abyss‘ Stimme drang dumpf zu ihnen herein. „Mit Vergnügen, Kapitän. Ich bin ein hässlicher Kerl, meine Hobbys sind mich golden anmalen und technische Scheiße labern, von der ich selbst keine Ahnung habe, weil mein Gehirn winzig ist und ich nur ein infantiler, blöder Oceaner bin.“
Sky seufzte tief und wandte sich dann fragend an Gibbli.
„Steven sagte, es ist möglich, die Schutzschilde der Mara auszudehnen, damit es Abyss umschließt, wenn sie auf uns schießen.“ Alle drei Schilde, dachte sie.
„Meine Version war besser“, murmelte Abyss über die Kommunikationsverbindung in seinem Anzug.
„Wenn ...“, Gibbli zögerte. „Wenn sich Stevens Maschine tatsächlich nicht abschalten lässt, dann ... könnten wir den Ebenenschild über sie hinweg ausdehnen.“
„Das bedeutet, wir wären in der Lage, diesen Planeten dadurch zu retten“, sagte Sky leise.
Gibbli nickte. „Und würden sterben. Da der Schild nur funktioniert, wenn sich mehrere Personen an Bord befinden.“
In der Zentrale breitete sich Stille aus.
„Woho, wir sterben! Was mach ich dann hier im Wasser? Was machen wir überhaupt noch hier? Der bescheuerte Oca hat recht, lasst uns feiern!“, rief Abyss plötzlich von draußen.
„Ein Wunder, der Mensch hat es endlich verstanden! Ich wollte das die ganze Zeit! Aber auf mich hört ja keiner! Ihr solltet die letzten Tage eures Lebens genießen!“
„Es muss nicht so enden“, sagte Sky mit rauer Stimme.
„Aber es wird“, flüsterte Bo.
„Was ich damit sagen wollte, lass mich endlich was kaputt machen, Sky! Ich bin bereit, lass mich spielen!“, knurrte Abyss.
„Noch einmal, du wirst nicht spielen, verflucht! Bestätige das!“, fuhr Sky ihn an.
„Hm, na klar“, murmelte Abyss leise.
„Bo hat recht“, stimmte Steven ihr zu. Seine Worte klangen seltsam ernst. „Das ist unser Ende. So wird es sein. Ich wollte es hinauszögern. Ich weiß alles, ich bin ein Genie. Ich habe die Zeit berechnet, die Stunden, die uns noch bleiben. Schon vor Wochen. Und jetzt sind es nicht mehr viele. Nein, das sind es nicht. Wir sterben.“
„Ich will es nicht mehr hören! Das wird nicht geschehen! Wir schalten diese verfluchte Maschine ab!“, fuhr Sky ihn an.
„Du irrst dich!“, widersprach Steven schreiend. „Denk nach, mit deinem Gehirn! Es wird!“
„Sag mir warum!“
Jetzt wieder völlig ruhig lehnte sich der Oceaner zurück und sagte verträumt: „Weil du es bist, Kapitän. Weil du Sky bist. Der heroische Held. Der Beschützer dieser Welt. Weil du deine Crew und dich für die Menschen opfern wirst.“
„Hey!“, rief Abyss. „Das ziehst du doch nicht ernsthaft in Erwägung, oder? Sky? Sky! Hey, lass mich wieder rein, ich schneide dir die Kehle durch, wenn du das vor hast! Und im Übrigen, dieses Warten nervt!“
„Schweig! Ich opfere dich nicht, vertraut mir. Konzentriere dich auf deine Geige und halte Nu fest. Ich tauche jetzt auf. Und wehe, ich höre auch nur einen Ton!“
„Na endlich“, murmelte Abyss und fügte hinzu: „Opfern wir den Goldklumpen dann stattdessen? Weißt du, dieses Opfer könnte so ganz zufällig passieren, auch wenn wir überleben.“
Falls wir überleben, dachte Gibbli.
Der Kapitän verzichtete auf eine Antwort.
Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch prüfte Gibbli die Werte, als Sky das U-Boot nach oben steuerte.
„Woho! Ich bin die größte Waffe, die jemals existiert hat!“, tönte es über die Kommunikationsverbindung durch die Lautsprecher. „Ich werde alles vernichten!“
„Wirst du nicht! Also er hat mir entschieden zu viel Spaß da draußen. Ist er betrunken? Hat ihm jemand etwas gegeben?“, fragte der Kapitän.
Bo schüttelte den Kopf. „Der Druck in seinem Anzug ist grenzwertig, aber noch im normalen Bereich.“ Die Hybridenfrau prüfte alle Werte von Abyss in Echtzeit vor sich auf ihrer Konsole. „Ich senke ihn etwas.“
Abyss‘ heitere Stimmung dürfte sich ändern, wenn er zu spielen beginnen würde, dachte Gibbli und versuchte den Kloß in ihrem Hals hinunterzuwürgen. Sie war sich sicher, dass er nicht auf den Kapitän hören würde. Nervös betrachtete sie das Frontfenster. Bo, die eine Konsole versetzt neben ihr stand, hatte ihren Mund aufgerissen. Tausende von U-Booten lagen verstreut vor ihnen und warteten auf ein Zeichen, sie anzugreifen. Währenddessen beobachtete Steven neugierig Sky, der mit steinerner Miene die Steuer der Mara fest umgriffen hielt.
„Da platzen euch die Augen, sind das viele“, hörten sie Abyss von draußen murmeln. „Seht ihr das? Soll ... soll ich?“
„Nein“, gab Sky konzentriert zurück und steuerte die Mara weiter nach oben.
„Sind wir drin, Mädchen?“, fragte Steven.
Gibbli drückte einen Hebel nach unten. „Ja.“ Das neue Feld, das er generiert hatte, umgab jetzt die Mara. Nicht nur Abyss musste vor den Tönen geschützt werden, sondern auch sie selbst.
„Wozu der ganze Aufwand, wenn er sowieso nicht spielen soll?“, fragte Bo.
„Ohne ein Druckmittel kommen wir nicht weit. Wenn ich Jack sage, dass es funktioniert, wird er mir glauben. Und das kann ich nur behaupten, wenn es auch wirklich in der Praxis funktionieren würde.“
Natürlich, Sky log ja niemals, dachte Gibbli. „Einige von ihnen nähern sich uns“, sagte sie.
„Sky!“, schrie Abyss von draußen.
„Nein, halt dich zurück!“, befahl der Kapitän.
Panisch drückte Gibbli auf eine Konsole. „Sie schießen!“, rief sie.
Steven fletschte böse grinsend die Zähne. Erwartungsvoll beobachtete er die U-Boote, die jetzt direkt vor ihnen am Frontfenster auftauchten. Draußen leuchtete es hell auf. Blendendes Licht warf für einen Moment unheimliche Schatten durch die Zentrale.
Gibbli schirmte ihre Augen ab. „Das war ein direkter Treffer!“ Schnell prüfte sie die Werte der Schilde. Sie hatten alles abgefangen.
„Tut mir Leid Sky, ich kann das nicht“, hörten sie Abyss plötzlich sagen. „Das ist für dich und für meine Schwester!“
„Hey! Nein, verflucht! Nicht-“ Der Kapitän ließ die Steuerung los und schloss gequält die Augen.
Ein schräges Geräusch hallte durch die Zentrale, dicht gefolgt von einem markerschütternden Schrei über die Lautsprecher. Kurz brachen die Töne ab. Dann spielte Abyss stöhnend weiter. Bo keuchte auf und hielt sich die Ohren zu. Gibbli verzog mitleidig das Gesicht. Was hatte der Kapitän erwartet, wenn er Abyss so eine Macht in die Hände drückte?
Steven schloss die Augen. Er schien es zu genießen. „Ich wünschte, die direkten Frequenzen kämen durch.“
Sky packte wütend die Steuerhebel und manövrierte die Mara ein Stück zurück. Langsam verebbte die atonale Melodie. Die begleiteten Schmerzensschreie Abyss‘ schwächten ebenfalls ab.
„Sie haben nicht mehr geschossen. Bedeutet das ...“ Bo beendete die Frage nicht.
„Da hinten kollidierten zwei“, sagte Gibbli und betrachtete eine Übertragung auf der Konsole vor ihr. „Dort drüben stürzt eines auf den Meeresgrund.“
Sky stoppte die Mara. „Abyss?“
Er antwortete ihm nicht.
„Es ... betrifft alle im Umkreis von hundert Metern“, sagte Gibbli. „Wir ... also ... er hat etwa 15 U-Boote vernichtet.“
„Das ist nichts“, sagte Steven fröhlich.
„Nichts? Das waren verflucht noch mal 150 Menschenleben! Abyss! Wenn du mich hörst, dann sag etwas!“, versuchte es Sky noch einmal.
Bo tippte hastig auf einem holografischen Bildschirm, um seine Werte zu prüfen. Sie biss die Zähne aufeinander und schüttelte abwehrend den Kopf, sagte jedoch nichts.
„Abyss! Hey, bist du okay?“, fragte Sky wieder.
„Jetzt!“, rief Bo. „Er kommt wieder zur Besinnung.“
„Hab ich’s ... erwischt? Sein ... Boot? War ... es ... dabei?“, kam seine Stimme schwach aus den Lautsprechern durch die Verbindungskabel.
„Du verdammter-“
„Da nähert sich wieder eins“, unterbrach Gibbli den Kapitän.
„Greift es an?“, fragte Sky sofort beherrscht.
„Nein“, gab sie zurück.
„Ich ... greife es an!“, murmelte Abyss.
„Stopp! Lass es ran, Abyss! Sie senden ein Leuchtsignal.“ Sky öffnete eine Konsole über seinem Sitz, um das U-Boot näher zu betrachten.
„Ist das diese Kapitänfrau, Dixland? Deine alte Crew?“, fragte Bo.
Steven grinste. Gibbli erkannte es sofort. Es war das Führungsboot selbst. Doch seine Flotte blieb hinter ihm zurück.
„Es ist Jack höchst persönlich“, sagte Sky leise.
„Perfekt“, hörten sie eine mordlustige Stimme über die Lautsprecher.
„NEIN! Unterstehe dich! Du folgst gefälligst meinem Befehl!“
„Du kannst mich nicht aufhalten, Sky! Diesmal nicht!“ Abyss‘ Stimme klang wieder etwas stärker. Offensichtlich erholte er sich langsam von den Schmerzen.
Der Kapitän sprang von seinem Sitz auf, rannte an Gibbli vorbei in die zweite Konsolenreihe hoch zu Bo und drückte einen Schalter. Dann drehte er langsam einen Regler zur Seite.
„Bist du verrückt? Du bringst ihn um!“, schrie Bo ihn an und packte seinen Arm.
Doch Sky ignorierte sie.
„Abyss?“, fragte Gibbli. Er antwortete nicht. Hastig ließ sie sich seine Werte anzeigen. Der Sauerstoffgehalt in seinem Anzug war erschreckend niedrig! „Was hast du getan?“, flüsterte sie.
„Was nötig ist.“ Wieder verschob der Kapitän einen Regler. „Er übersteht das.“
Steven setzte sich auf einen der drei Stühle vor ihnen und verschränkte lächelnd die Arme, als würde er sich einen dieser Filme ansehen, von denen er immer sprach. Verärgert von Skys Vorgehen Abyss betreffend, beobachtete Gibbli, wie der Kapitän an dem Oceaner vorbei trat, an das Frontfenster heran. Währenddessen näherte sich Jacks U-Boot der Mara weiter.
Dann erblickten sie ihn. Jack stand direkt auf der anderen Seite am Fenster seines U-Bootes. Die Uniform ordentlich zurechtgerückt, starrte er den Kapitän schweigend und mit leicht gesenktem Kopf an. Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus.
„Gibbli stelle eine Funkverbindung her“, verlangte Sky.
„Das ist verboten“, gab sie noch immer beleidigt zurück und betrachtete Jack voller Abscheu. Dieser Mann hatte ihre Eltern ermorden lassen.
„Verflucht, das interessiert mich nicht! Hört auf damit, wir befolgen meine Gesetze! Mach schon!“
Gibbli zögerte. Es widersprach tatsächlich allem, was sie ihr ganzes Leben auf der Akademie gelernt hatte.
„Gibbli, ich werde sicher nicht die Schutzschilde abschalten, damit er uns ein Kommunikationskabel herüberschießen kann.“
Das überzeugte sie. „Ich brauche einen Moment, um eine geeignete Empfängeranlage auf seinem Boot zu ertasten und einen Sender ...“ Ihre Stimme wurde leiser, als sie hinter einem Computer verschwand.
Als sie sich wieder aufrichtete, hatte sich Sky offenbar noch immer nicht bewegt. Mit versteinerter Miene starrte er durch die Fenster hindurch. Und Jack starrte zurück. Getrennt, nur von den unsichtbaren Schutzschilden der Mara und einer Schicht Wasser.
„Es ... also ... es müsste funktionieren.“ Gibbli drückte eine Taste, in der Hoffnung, dass sie recht hatte.
„Jack“, sagte Sky mit fester Stimme, ohne sich zu ihr umzudrehen.
Jack kniff die Augen zusammen und blickte nach oben. Dann wieder zu ihnen herüber. Er sagte etwas. Seiner Mundbewegung nach war es Skys Name, den er aussprach. Doch sie hörten ihn nicht.
Gibbli drückte schnell einen Hebel, um die Verbindung umzulenken. „Okay, jetzt“, murmelte sie.
„Und wieder brichst du das Gesetz“, hörten sie Jacks Stimme aus den Lautsprechern der Zentrale, die auch mit Abyss‘ Anzug verbunden waren.
Sky schloss angewidert die Augen, als könnte er damit seine Stimme verdrängen. Dann starrte er ihn wieder an. „Du hast Ocea nicht zerstört. Sag mir warum.“
Jack grinste. „Wozu Energie verschwenden? Diese verrückten Beben werden das für mich erledigen.“
„Jack, diese Beben werden auch uns vernichten, das weißt du! Aber es gibt eine Möglichkeit die Menschheit zu retten. Es gibt einen Weg, diese Beben zu beenden! Wir werden die Maschine abschalten, die sie verursacht. Dazu müssen wir sie erreichen. Lass uns durch.“
„Nein.“
„Du bist für sie verantwortlich, du bist der Führer! Du kannst nicht allen Ernstes den ganzen Planeten vernichten, nur wegen ... wegen mir!“
Jack trat einen Schritt vom Fenster zurück. „Ich kann. Ob ich es werde, liegt an dir.“
„Das ist absurd!“
„Nein Sky, das nennt man Verhandeln.“
„Na schön! Wenn du uns nicht durch lässt, werde ich jeden einzelnen Soldaten deiner Flotte vernichten!“
„Das tust du doch bereits!“
„Ich bedauere das. Es war nicht vermeidbar, Jack. Du wolltest verhandeln. Ich habe uns lediglich in eine Position gebracht, die uns das ermöglicht.“
„Indem du Massenmord begehst! Ich hätte nicht erwartet, dass du sofort angreifst, nicht von dir. Du hast dich verändert, Sky.“
„Nun, das ... hätte ich auch nicht erwartet. Aber insgeheim bewunderst du das. Ich weiß es, ich kenne dich zu gut. Siehst du den Taucher, Jack? Erkennst du ihn? Oh ja, ich bin mir sicher, dass du das tust. Er ist unsere Waffe. Ich habe die Sauerstoffkonzentration in seinem Anzug verringert. Hätte ich das nicht getan, wärst du jetzt ebenfalls tot. Abyss wird jeden Moment das Bewusstsein wieder erlangen. Und du kannst dir denken, was er tun wird. Setze dein Glück aufs Spiel und wir werden sehen, ob ich es ein weiteres Mal schaffe, ihn davon abzuhalten dich zu töten. Oder nein warte, die Frage ist, will ich ihn davon abhalten?“
Gibbli erkannte, wie Jack lächelnd den Kopf schüttelte und jetzt näher ans Fenster seines U-Bootes herantrat. „Hat dir schon einmal jemand den Unterschied zwischen verhandeln und erpressen beigebracht, mein Freund? Ach stimmt, das war ja ich. Das war wohl ein Fehler. Gut. Schön. Ich mache dir ein Angebot, Sky. Weil du es bist. Ein letztes Angebot. Und du bist ein Narr, wenn du es ablehnst. Denn dann bist du derjenige, der sie vernichtet, nicht ich.“
Jack ließ sich die Fäden nicht aus der Hand nehmen, dachte Gibbli. Für einen Moment war sie froh, dass Sky es war, der ihm gegenüber stand, nicht Abyss. Sky würde sich seinen Vorschlag wenigstens anhören, statt sofort einen offenen Krieg anzufangen, wie Abyss es getan hätte. Oder noch schlimmer, Steven. Gibbli kontrollierte erneut die Werte von Abyss‘ Anzug. Sie waren wieder in einem normalen Bereich. Beunruhigt warf sie Bo einen Blick zu. Diese verzog den Mund und hob die Schultern an, um zu signalisieren, dass sie auch nicht wusste, was los war. Abyss hätte längst das Bewusstsein wieder erlangen müssen. Da stimmte etwas nicht!
„Sky?“, tönte Jacks fragende Stimme wieder durch die Zentrale.
„Okay. Ich höre.“
„Du wirst deine ... Waffe nicht mehr einsetzen. Ich weiß, du willst nicht töten. Ich biete dir und deiner Crew freies Geleit durch meine Flotte.“
Der Kapitän verzog keine Miene. „Das ist, was ich will. Die Sache ist die, mich wirst du im Gegenzug dafür nicht bekommen, Jack. Niemals. Ich sorge dafür, dass nicht einmal meine Leiche dein U-Boot betreten wird!“
„Das verlange ich auch gar nicht, Sky. Im Gegenteil.“
„Sprich.“
„Du lässt mich zu dir an Bord kommen.“
Sky schloss die Augen und schwieg. Für einen Moment schien er nachzudenken, dann fragte er: „Wie sollte ich Abyss davon abhalten dich umzubringen?“
„Dein Problem. Niemand wird mich anrühren ... hm, außer dir natürlich. Dir sei es erlaubt. Meine Leute werden nicht auf dein Boot schießen, so lange ich mich lebend an Bord befinde. Niemand muss mehr sterben, weder von deinen noch von meinen Leuten. Wir fahren gemeinsam zu dieser Maschine und schalten sie ab.“
Gibbli war sich nicht sicher, was sie davon halten sollte. Das klang unerwartet vernünftig. Andererseits war es seine Aufgabe als Führer der Landmenschen. Jack begab sich in Gefahr, um das Leben seines Volkes zu retten.
„Einverstanden“, sagte Sky. „Aber ich habe Bedingungen.“
„Natürlich hast du die. Sonst wärst du nicht du. Also, rede.“
„Du wirst keine Waffe bei dir tragen.“
„Abgemacht. Weiter, Sky. Was noch?“
„Du lässt meine Leute in Ruhe. Damit meine ich, du greifst sie nicht an. Du wirst sie nicht verletzen.“
„Okay.“
„Und noch etwas, Jack. Du wirst mit niemandem sprechen, außer mit mir.“
„Schön.“
Der Kapitän trat einen Schritt nach vorne und stand jetzt so nahe am Fenster, dass er die Scheibe fast berührte. „Um das ganz deutlich klarzustellen: Sollte ich auch nur ein Haar von Abyss auf deiner Uniform finden, erschieße ich dich. Wenn du ihn berührst, erschieße ich dich. Wenn du Abyss auch nur mit einem einzigen Wort ansprichst, erschieße ich dich.“
„Ich werde nicht mit ihm reden und halte mich von ihm fern.“
Sky nickte. Während er sich von Jack abwandte, fragte er: „Hast du das gehört, Abyss?“
„Ich hab’s gehört, Kapitän“, drang seine Stimme aus den Lautsprechern. „Die Ehre, ihn abzuknallen, gebührt dir. Ich empfehle einen Schuss in seinen abscheulich hässlichen Schädel.“
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